Wert oder Preis: Was bekomme ich für meine Praxis?
Die Beiträge zum Thema Praxiswertermittlung nehmen signifikant zu. Leider führt das nicht gleichzeitig zu besserem Verständnis. Dazu zunächst eins: Viele Praxisinhaber, mit denen ich spreche, wollen von diesem Thema auch gar nichts wissen. Oft höre ich, dass das alles Blödsinn sei, das würde heute ganz anders gehen, oder der Steuerberater bräuchte nur fünf Minuten für die Bewertung, für die andere fünftausend Euro berechnen.
Einerseits ist da etwas dran, andererseits kommen Sie um eine solide Bewertung nicht umhin, wenn Sie eine Praxis kaufen oder verkaufen oder sich mit Ihrem Partner auseinandersetzen wollen. Und eine solide Wertermittlung setzt zwingend einen mehrstündigen Praxisbesuch voraus. Samt Auswertung liegen wir somit bei 1.000 Euro, und dann kommt noch das Gutachten selbst dazu. Wird eine Bewertung günstiger angeboten, vergessen Sie es bitte – es ist nicht seriös.
Was ermittelt nun der Gutachter? Es ist nicht der Preis, denn der Preis ist der Euro-Wert, den Sie am Ende tatsächlich zahlen beziehungsweise bekommen. Der Gutachter ermittelt einen oder mehrere Werte. Mehrere? Ja, denn es gibt nicht den einen Wert, es gibt nur Werte aus der Sicht von jemandem. Und Sichtweisen sind naturgemäß individuell und verschieden. So kann der Sachverständige zum Beispiel einen Entscheidungswert für einen Käufer ermitteln: „Mehr darfst Du nicht zahlen, weil Du dann im Alternativenvergleich unvorteilhaft dastehst.“ Und mit einer Alternative ist nicht nur eine andere Praxis, sondern gegebenenfalls auch eine andere Betriebsform gemeint, bis hin zum Angestelltensein.
Der Standardfall ist aber der, dass ein sogenannter Markt- oder Verkehrswert ermittelt werden soll. Leider ist es so, dass das Vorhandensein eines Verkehrswerts einen vollkommenen Markt voraussetzt, den es beim Kauf/Verkauf von Zahnarztpraxen aber nicht
gibt. An dieser Stelle bringt der Gutachter, der sich mit der Praxisökonomie
und dem Markt auskennt und eine akribische Analyse der Situation vornehmen muss, seinen Erfahrungsschatz ein. Dann erst kommt das Bewertungsmodell ins Spiel. Das ist heute üblicherweise das sogenannte modifizierte Ertragswertverfahren für den immateriellen Praxiswert. Auf Erläuterungen zu diesem Modell verzichte ich an dieser Stelle. Sie finden sie in den zahlreichen Beiträgen zum Thema oder in meinem Buch „Grundlagen der Praxiswertermittlung“.
Nun kann es in Einzelfällen tatsächlich sein, dass der Steuerberater mit einer Fünf-Minuten-Methode ungefähr zum gleichen Ergebnis kommt wie der Gutachter. Aber die fundierte Begründung fehlt trotzdem, weshalb dieser Wert einer kritischen Betrachtung im Rahmen zum Beispiel einer Käufer- und Verkäufer-Diskussion schwer standhalten wird. Ich kann niemandem raten, sich nur darauf zu verlassen.
Ausgabenersparniswert
Viele glauben, dass es wenigstens beim materiellen Praxiswert „den Wert an sich“ gibt. Nein! Den gibt es nie. Und leider werden hier die größten Fehler begangen. Ein Depot beispielsweise berechnet möglicherweise, was es zahlen würde, wenn es Ihr gesamtes Inventar abbaut, abtransportiert, überholt und wieder verkauft. Damit kommen Sie aber tendenziell auf eher kleine Werte. Der „Nutzwert“, den Ihre Anlagen für einen Käufer der Praxis haben, ist in der Regel sehr viel höher, denn die Geräte bleiben, wo sie sind und haben für den Käufer einen wirtschaftlichen Nutzen. Berechnet werden kann er mit der Methode des Ausgabenersparniswerts, der die Eigenschaften eines Ertragswerts hat und somit methodisch gut zum modifizierten Ertragswert für den immateriellen Wert passt.
Kurzum: Eine solide Berechnung gibt nicht nur Sicherheit, sondern die Möglichkeit eines guten Verständnisses zwischen den Parteien in den Kaufverhandlungen. Und hier kommt der „faire Praxiswert“ zum Tragen. Gut moderiert erreicht es der erfahrene Gutachter/ Mediator, eine Lösung zu erarbeiten, die beide Seiten verstehen und akzeptieren können. Dann fühlt sich niemand über den Tisch gezogen, der Abgeber hat das Gefühl, einen angemessenen Preis erhalten zu haben, und der Übernehmer kann sicher sein, dass er mit seiner nun erworbenen Praxis zu angemessenen Konditionen erfolgreich sein kann.
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Der Originalbeitrag ist in der DZW (Ausgabe 27/2019 | Zahnärztlicher Fach-Verlag GmbH) erschienen.