Die Praxiswertermittlung ist ein wichtiger Aspekt der Ruhestandsplanung. Vor der Nachfolgesuche will der Abgeber wissen, welchen Preis er wohl für seine Praxis erzielen kann. Aber auch die interessierten, meist jungen Erwerber wollen abschätzen können, wie viel sie für die angebotene Praxis zahlen sollen. Dabei ist die Praxiswertermittlung für viele ein Buch mit sieben Siegeln. In diesem Beitrag wird eine merkwürdig erscheinende Praktik bei der Wertermittlung erklärt: die Gewinnmultiplikation.
Die nachfolgenden Erläuterungen beziehen sich auf die Bestimmung des immateriellen Teils der Wertermittlung, auch ideeller Wert oder Goodwill genannt. Der materielle Teil, der im Mittel in Deutschlands Zahnarztpraxen ein Drittel des Gesamtwertes ausmacht, wird hier nicht behandelt.
Warum überhaupt eine Berechnung?
Manche Abgeber haben eine ganz konkrete Vorstellung von dem Wert ihrer Praxis und wissen daher genau, welchen Preis sie erzielen wollen. Sie haben vielleicht ein paar Zahlen von Freunden oder dem Steuerberater gehört, die ihre Vorstellungen beeinflusst haben. Das ist natürlich in Ordnung – und vielleicht wird das gewünschte Ergebnis auch erzielt. Spätestens aber der Übernahmekandidat wird wissen wollen, wie der Wert zustande gekommen ist. Und dann kommen die Verkäufer an einer Berechnung nicht vorbei.
Was wird denn da berechnet?
Es gibt im Wesentlichen zwei Bewertungsanlässe. Da ist zum einen die Ermittlung des Entscheidungswertes des Bewertungssubjektes (Bewertungssubjekt sind der Käufer oder der Verkäufer) und zum anderen des Verkehrswertes vom Bewertungsobjekt, also der Praxis.
Der Entscheidungswert (zum Verkehrswert kommen wir später) gibt zum Beispiel dem Käufer an, welchen Preis er maximal zahlen sollte, ohne einen wirtschaftlichen Nachteil gegenüber einer Alternativinvestition zu haben. Die Alternativinvestition ist beispielsweise eine Neugründung. Da das eine hypothetische Betrachtung ist – denn es geht ja um die zum Verkauf stehende Praxis und nicht um die Neugründung –, muss der Vergleich abstrahiert werden. Das nennt man Unternehmensbewertung, hier also Praxisbewertung.
Die Bedeutung des Ertrages bei der Wertermittlung
Es ist naheliegend und üblich, dass bei zwei ansonsten gleichen Praxen diejenige einen höheren Preis erzielt, die einen höheren Gewinn verspricht. An dieser Stelle setzen wir aus Vereinfachungsgründen die Begriffe Gewinn und Ertrag gleich, so wie wir auch einige finanzmathematische und sonstige Feinheiten nicht beachten. Jedenfalls liefert uns die sogenannte Ertragswertmethode genau das: die Ermittlung des Wertes anhand des zukünftigen Gewinns.
Dabei wird grundsätzlich (aber eben nicht bei Arzt- und Zahnarztpraxen) der Wert mit der Formel der „ewigen Rente“ berechnet. In Abhängigkeit eines festzulegenden Zinssatzes wird der Jahresgewinn zum Beispiel mit dem Faktor 10 multipliziert. Wenn ein Unternehmen nun einen Jahresgewinn von 100.000 EUR verspricht, ist der Wert eine Million Euro. 100.000 EUR pro Jahr sind äquivalent zu der einmaligen Zahlung von einer Million Euro. Das ist der Entscheidungswert: Mehr als eine Million Euro zu zahlen, wäre wirtschaftlich nachteilig.
Warum ist das bei Praxen anders?
Bei Praxen verflüchtigt sich der Einfluss des Abgebers auf den zukünftigen Gewinn schneller als bei produzierenden Unternehmen, weil es sich bei Ärzten und Zahnärzten nicht um Produkte, sondern um persönlich erbrachte Dienstleitungen handelt. Nach einer gewissen Zeit ist der Erfolg nur noch vom Übernehmer abhängig. Und der ist nicht dazu bereit, für den über die Verflüchtigung hinaus allein durch ihn geprägten Erfolg in der Zukunft etwas zu zahlen.
Und jetzt geht es um die Frage, mit welchem Faktor nun multipliziert werden muss. Dabei können wir davon ausgehen, dass dieser Faktor kleiner ist als die oben genannte 10.
Die Wahl des Faktors ist ausschließlich von den Erfahrungen des Bewerters abhängig. Der Faktor kann nicht „berechnet“ werden.
Prof. Dr. Thomas Sander
Die verflixte Zwei
Der angesprochene Faktor, der teilweise auch als Ergebniszeitraum bezeichnet wird, ist der Schlüssel zur Wertermittlung, denn hier wird der angenommene Zukunftserfolg mit Zahlen zwischen 1 und 5 multipliziert, und diese Bandbreite lässt Wertunterschiede von mehreren Hundert Prozent zu. In der Praxis hat die Methode der Bundesärztekammer dazu geführt, dass häufig Multiplikatoren von 2 (für Einzelpraxen) und 2,5 (für Gemeinschaftspraxen) angewendet werden. Allerdings muss vorher noch der Arztlohn vom Gewinn subtrahiert werden, und vorzunehmende Abzinsungen führen auch zu Verzerrungen, aber die Richtung stimmt schon mal: die verflixte Zwei.
Das modifizierte Ertragswertverfahren
Beim modifizierten Ertragswertverfahren wird die Annahme des sich verflüchtigenden Abgebereinflusses und damit des begrenzten Ergebniszeitraums in das klassische Ertragswertverfahren integriert. Am Ende findet die Multiplikation statt – und hier ist Vorsicht geboten: Die Wahl des Faktors ist ausschließlich von den Erfahrungen des Bewerters abhängig. Der Faktor kann nicht „berechnet“ werden. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es Hinweise darauf, dass dieser bei der Ermittlung des Verkehrswertes um 2,5 liegt.
Was ist nun der Verkehrswert?
Das ist der auch als gemeiner Wert bezeichnete Wert, der im gewöhnlichen Geschäfts-verkehr als Preis erzielt wird. „Dabei wird der gemeine Wert durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei seiner Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 BewG).“
Bei der Berechnung des Verkehrswertes orientiert man sich nach dem Stand der Bewertungslehre heute am modifizierten Ertragswertverfahren. Der dabei zum Verkehrs-wert führende Faktor bzw. Ergebniszeitraum kann nur „rückwärts“ mit einer multivariaten Regression bestimmt werden, die die Auswertung von sehr vielen tatsächlich durchgeführten Transaktionen voraussetzt. Das müssten aber mehr sein, als es sie wirklich gibt. Deshalb täuscht eine ggf. vorgenommene Berechnung nur etwas vor. Die Wahl des Faktors muss im Rahmen der Bewertung aber gut begründet werden, wobei noch zu beachten ist, dass beim Kauf von Zahnarztpraxen gerade die persönlichen Verhältnisse wesentlichen Einfluss auf den Preis haben. Schon allein deshalb scheidet eine „objektive Faktorermittlung“ aus.
Überlassen Sie die Bewertung seriösen Sachverständigen. Wenn Sie aber eine Einzelpraxis verkaufen bzw. kaufen und eine schnelle Werteinschätzung vornehmen wollen, multiplizieren Sie den Jahresgewinn mit 0,8 bis 1,0.
Wenn ein Investor auf Sie zukommt, rechnen Sie damit, dass Ihnen als erstes Angebot das Fünffache des Jahresergebnisses vor Abschreibungen gemacht wird. Was am Ende steht, wissen nur die Betroffenen.
Prof. Dr. Thomas Sander
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Der Originalbeitrag ist in der ZWP (Ausgabe 11/2020 | Zahnärztlicher Fach-Verlag GmbH) erschienen.